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So geht es weiter im deutschen Davis Cup Team

Tim Böseler vom Tennismagazin schrieb vor vier Jahren (!) eine nicht ganz ernst gemeinte Story über den Zustand des deutschen Davis Cup-Teams. Seltsamerweise ist seine Glosse plötzlich ziemlich aktuell.

Tim Böseler am 1. November 2012 um 11:47

2016, im Jahr vier nach dem Rücktritt von Patrik Kühnen als Davis Cup-Teamchef, sitzt dessen sechster Nachfolger Karsten „Katze“ Braasch in seinem Fiat Panda, den er vor über 20 Jahren bei einem Preisgeldturnier im Ruhrpott als Prämie gewann, und ist auf dem Weg nach Monaco. Neben ihm: Jens Knippschild. Auf der Rückbank: Bernd Karbacher und Lars Burgsmüller. Das deutsche Davis Cup-Team muss am nächsten Morgen gegen Andorra, San Marino, Monaco und Island in der Euro-Afrika-Zone 3 um den Wiederaufstieg kämpfen. Vier Partien in einer Woche eine Monsteraufgabe für das nicht mehr ganz taufrische Team.

„Wird nicht einfach“, hatte Braasch vor der Abfahrt einem einzigen Reporter zugerufen und sich eine Zigarette angezündet. „Aber wir brennen, logisch!“ Von den jüngsten Querelen mit DTB-Präsident Altenburg wollte Braasch nichts mehr hören: „Thema ist erledigt, fertig.“ Braasch hatte mit den Kegelbahnen Bruns aus Düsseldorf-Ratingen einen neuen Hauptsponsor für das Davis Cup-Team gefunden, aber Altenburg intervenierte, als er herausfand, dass Braasch mit Geschäftsführer Karl-Heinz Bruns so dicke ist, dass er dort seit Jahren anschreiben lassen darf und auf seinem Deckel mittlerweile mehrere tausend Euro offen sein sollen. Dazu Braasch bei einem seiner wenigen Interviews vorletzter Woche: „Kann sein, dass ich beim Kalle noch ein paar Bier ablöhnen muss.“

Keine Livestreams mehr

Jetzt hat Braasch aber andere Sorgen. Knippschild hat Rücken, Karbacher Schulter und Burgsmüller Achillessehne. Bei diesen Personalnöten ist es durchaus realistisch, dass die Katze im Doppel selbst noch einmal ran muss. „Scheißegal, Andorra kann eh nix“, hatte Braasch zwar selbstbewusst verkündet, aber nur der Sieg gegen den ersten Vorrundengegner aus den Pyrenäen wäre zu wenig. Der Gruppensieg muss her, um sich für das Aufstiegsspiel für die Euro-Afrika-Zone 2 zu qualifizieren. Der Modus in dieser untersten Davis Cup-Liga ist ein anderer als in der Weltgruppe, aber das interessiert eh keinen mehr. Kein deutscher Journalist wird vor Ort sein, die Übertragungen per Internet-Livestreams wurden eingestellt. Zuletzt hatten auf dem Portal der Nordwest-Zeitung in Oldenburg 17 Personen den Link zum Livestream einer russischen Produktionsfirma angeklickt, als Deutschland vergangenes Jahr in der Euro-Afrika Zone 2 das entscheidende Spiel 2:3 in Lettland verlor. Das Ein-Mann-Team mit Philipp Kohlschreiber hatte den aufstrebenden Letten wenig entgegenzusetzen. Kohli gewann seine zwei Einzel, während die beiden anderen kampflos an die Gastgeber gingen. Knackpunkt war das Doppel, in dem Kohlis Manager, Kapitän, Arzt, Servicemann und Doppelpartner Stephan Fehske, vor Urzeiten in der Herren-Regionalliga aktiv, enttäuschte.

Nach der Pleite von Riga verlangte der DTB einen Neuanfang im deutschen Davis Cup-Team den insgesamt dritten oder vierten, niemand weiß das noch so genau. DTB-Präsident Altenburgs Wunschkandidatin Barbara Rittner winkte sofort ab. Sie habe schon genug um die Ohren, mit ihrem A- und B-Team im Fed Cup sowie dem Audi-Zukunftsteam der Juniorinnen. Als einzige Nation darf Deutschland wegen 15 Spielerinnen in den Top 50 zwei Teams im Fed Cup-Wettbewerb starten lassen. Deutschland A (mit Kerber, Lisicki, Görges und Petkovic) gewann 2015 den Titel im Endspiel gegen Deutschland B (mit Barthel, Beck, Lottner und Witthöft) im Berliner Olympiastadion vor knapp 80.000 Fans, die ARD übertrug insgesamt 70 Stunden live, inklusive dreitägiger Vorberichterstattung. Um keine Unstimmigkeiten zwischen den Teams aufkommen zu lassen, wechselte Rittner bei jedem Seitenwechsel von einer Teambank zur anderen.

Nach Rittners Absage gestaltete sich die Suche nach einem neuen Herren-Teamchef mehr als schwierig. Denn: Die meisten Kandidaten waren in den zurückliegenden Jahren schon einmal gescheitert. Etwa Alex Waske, der die Mannschaft 2013 übernahm und beim Auswärtsspiel in Argentinien unterging, weil er ausschließlich Nachwuchsspieler aus seiner Offenbacher Tennis-University einsetzte. Waske zu Bild damals: „Der DTB wollte doch einen Neuanfang. Wo ist also das Problem?“ Nach Waske nahm Tommy Haas das Ruder in die Hand, als „Playing Captian“. Deutschland stieg in die Euro-Afrika-Zone 1 ab, weil Haas sich im Relegationsspiel gegen Kasachstan dreimal selbst aufstellte und dreimal fünf Sätze spielen musste. Im letzten Einzel musste er aufgeben. Danach beendete er seine Karriere („Der Davis Cup hat mir den Rest gegeben“). 2015 wurde er Gouverneur von Kalifornien.

DTB-Projekt „Wiederaufstieg 2014″

In der zweiten Liga sollte Michael Kohlmann als Kapitän das DTB-Projekt „Wiederaufstieg 2014″ umsetzen. Da der DTB aber immer nur Sponsoren für das Damentennis fand und potenzielle Geldgeber explizit darauf hinwiesen, niemals in Verbindung mit dem deutschen Herrentennis gebracht zu werden, konnte Kohlmann seinen Spielern keine Prämien zahlen. Unter diesen Umständen erklärten sich nur Björn Phau, Michael Berrer und Benjamin Becker bereit, für Deutschland anzutreten. Gegen Polen stieg das Team in die Euro-Zone 2 ab.

Philipp Petzschner, 2014 vom Profitennis zurückgetreten, inszenierte sich 2015 als Retter des deutschen Herrentennis. „Petzsche“ wurde Teamchef und Veranstalter in Personalunion. Er kaufte dem DTB für 3,50 Euro die Austragungsrechte für das Heimspiel gegen Weißrussland ab, mietete die Lanxess Arena in Köln zusammen mit seinem Schwager, der irgendetwas in Sachen Event-Management macht, und versprach „eine ganz große Nummer“. Dank seiner guten Kontakte kehrten zunächst Mayer und Kohlschreiber ins Team zurück. Aber dann fiel Mayer auf, dass der Termin „doch nicht so gut in meine Turnierplanung passt“. Kohlschreiber sagte einen Tag vor dem Start der Partie per verwackelter Video-Botschaft ab. Weil die Tonqualität so schlecht war, wusste lange niemand, warum Kohli nicht antrat selbst Kapitän Petzschner nicht. Irgendwann sickerte durch, dass Kohli einen Magen-Darm-Virus hätte. Petzschner machte die späte Absage Kohlschreibers dafür verantwortlich, dass die Partie 2:3 verloren ging und sich nur 250 Zuschauer in der 20.000 Fans fassenden Halle einfanden. „Ich hatte dem Petzschner per SMS schon lange vorher mitgeteilt, dass ich krank war“, echauffierte sich daraufhin Kohlschreiber.

Für das „überlebenswichtige“ (Altenburg) Spiel gegen den Abstieg in die Euro-Afrika-Zone 3 wurde Petzschner gefeuert. Kohlschreiber dagegen bekam alle Vollmachten vom DTB-Präsidium mit den Worten übertragen: „Uns ist es egal, was sie machen. Hauptsache, wir steigen nicht noch einmal ab.“ Es folgte die erstmalige Nominierung eines Ein-Mann-Teams und die 2:3-Niederlage von Riga.

„Irgendjemand rief mich an“

Jetzt liegt also alles in den Händen von Karsten Braasch und seinen Mannen. Wie er überhaupt Teamchef wurde? „Irgendjemand rief mich an. Sagte, er sei vom DTB. Was ich denn so machen würde, wie die Form wäre und ob ich ein paar Tage Zeit hätte, um mal mit einer Truppe nach Monaco runterzuheizen. Klar, sagte ich. Ich liege auf der Couch, ziehe ein paar durch und spiele immer noch einen guten Ball. Und meine Kumpels von früher haben bestimmt auch Bock.“

Ein Aufstieg in die Euro-Afrika-Zone 2 wäre der größte Erfolg des deutschen Herrentennis in den letzten vier Jahren.

(geschrieben von Matthias König)